Um es vorweg zu schicken: ich hielt für diesen Beitrag eine Reihe von Titeln weitaus treffender, wie z.B. „KRAUTREPORTER: scheitern im Land der Bekloppten und Bescheurten“ (Credits: Dieter Wischmeyer), habe mich aus Gründen aber dagegen entschieden. Das ändert aber nichts an Grundstimmung, die diesen Artikel begleitet.
Angefangen hat das Drama genau vor einer Woche, als ich im Stefan Niggemeier in einem Interview auf der re:publica sah, der über das Vorhaben sprach, eine neue journalistische Plattform auf die Beine stellen zu wollen, die alleine vom Leser finanziert wird.
Anfang der Woche startete das Projekt KRAUTREPORTER seine Finanzierungsphase. Binnen 30 Tagen wollen 900.000 Euro eingesammelt werden – von den zukünftigen Lesern. 60 Euro im Jahr für ein journalistisch freies Projekt klangen in meinen Ohren überschaubar, die Präsentation auf krautreporter.de gab mir den Rest Begeisterung. Hier das Video, mit dem die Gründungsjournalisten ihr Projekt und die Vorteile vorstellen:
Wenn man sich vor Augen hält, dass sich klassische Magazinerlöse zu 80% aus Werbeanzeigen und lediglich 20% aus Verkäufen zusammensetzen, wird deutlich wie industriegesteuert Verlage und wie beeinflusst Beiträge sind. Investigativer Journalismus ist so kaum möglich. Getreu dem Motto: „Beiße nicht in die Hand, die dich füttert.“. Mir gefiel die Vorstellung, Tilo Jung direkt zu finanzieren und von ihm Content zu bekommen. Ich war neugierig, wie das wohl sein würde.
„Doch es geschah etwas, dass du nicht glauben wirst. Und auch ich bin noch fassungslos.“
Ich beging den Fehler, den Jahresbeitrag nicht sofort zu überweisen. Zuviel Tagesgeschäft. Bis zum Folgetag rutschte das Thema „Krautreporter“ in meine sozialen Timelines auf Twitter, Facebook und Feedly.
Der „Datenjournalist“ Lorenz Matzat liefert mir „Fünf Gründe, warum ich von dem Krautreporter-Konzept enttäuscht bin„: Präsentation, Team & Themen, Webtechnologie, Bezahlverfahren und Informationspolitik werden hier durchkritisiert. Da geht es um liebloses Webdesign, eine schlechte Frauenquote, es wird kritisiert, dass man nur Produkte von Apple sieht. Und noch irgendwas mit Themen. Aber alles in allem wird das Projekt wohl nicht zustande kommen, weil sich die Macher für die falsche Schriftart entschieden haben, so schlussfolgere ich.
Netzbekanntheit Felix „wirres“ Schwenzel schreibt auch über Frauen, Repräsentation und Mad Men. Irgendwie finde ich am Ende nicht das Happy End. Ich bin ratlos. Schwenzel wird ein paar Tage später verkünden, er sei nun auch Unterstützer der Krautreporter. Ich bin irritiert.
Franziska Bluhm vom Digitalen Quartett zeigt sich mit „OB DAS REICHT, KRAUTREPORTER“ ebenso skeptisch über viel Fehlendes und Unklares. Findet aber das viele Heiteitei irgendwie doch gut. Oder doch nicht? Die Kommentatoren bei ihr finden die Präsentation „soooo schlecht“. Ich bin noch mehr verwirrt.
„Dasnuf“ thematisiert auch nochmal das Thema Frau, betitel es aber wenigstens zutreffend mit „Erbsenzählen“.
Und auch Steve Rückwardt ermittelt mathematisch korrekt die Frauenquote auf 22:6, beschäftigt sich mit einem subotimalen Bezahlsystem und fehlende Transparenz und Angebotsbeschreibung. Wenigesten er schafft es, ein Fazit zu formulieren und positiv zu schließen. Ich habe Hoffnung.
Und am Ende, nachdem das Projekt ausfühlich an den „Klowänden des Internets“ kritisiert wurde, stellt Wolfgang Lünenbürger, in der Agentur ACHTUNG! als Management Supervisor Digital Communications tätig, auf Facebook die entscheidende Frage:
„…Darf ich etwas, beispielsweise den Krautreporter, bitte schön doof und langweilig und uninteressant finden und das sagen und begründen, ohne dass mir von irgendwelchen Trollen vorgehalten wird, ich würde verhindern wollen, dass jemand „mal was macht“ oder dass mein Dooffinden Schuld daran wäre, dass Doitschland hinterher hinke oder so eine Kacke?“
Gute Frage! Sehr gute Frage! Meine Antwort nach dieser Woche: „NEIN, darfst du nicht!“.
Influencer sind sich ihrer Bedeutung offenbar nicht bewusst und verwechseln Kritik mit Meinungsmache. Nicht jeder bildet sich seine eigene Meinung, sondern folgt Meinungsführern. Äußern diese Kritik, reduziert sich die Sogwirkung. Nur um das klar zu machen: Kritik – bzw. Feedback ist für die erfolgreiche Geschäftsentwicklung existenziell und soll und muß geäußert werden. Die Frage ist aber, wie und wo man dieses Feedback gibt. Es an die „Klowände im Internet“ zu schreiben halte ich für eine denkbar ungute Entscheidung, da diese dort nicht als Feedback an die Macher wahrgenommen wird, sondern als Kritik am Produkt manifestiert wird – und von den eigenen Lesern abschreckend wahrgenommen wird.
Telefon, E-Mail, iMessage, WhatsApp… nie war es leichter sein konstruktives Feedback direkt an den Entscheider zu adressieren. Mit einem Blogbeitrag und dem Recht auf freie Meinungsäußerung im Rücken, glauben wir, einen hilfreichen Beitrag geleistet zu haben. Doch dabei haben wir die breite Masse nur verunsichert und rauben dem Projekt die Chance zu wachsen.
Warum wird sich Mark Zuckerberg für Facebook den Unternehmens-Leitspruch „Done ist better than perfect“ ausgesucht haben? Weil er jedes Feature erstmal in einem demokratischen Prozess zu Tode diskutiert sehen möchte? Mein Chef sagte mal: „Wege entstehen beim Gehen.“. Die Krautreporter sammeln gerade Geld für die Schuhe und wir wollen ihnen aber erst Geld geben, wenn Sie uns schon die asphaltierte Straße und den Zielort präsentieren? Das wird doch so nie etwas!
Jenseits der Frauenquote hat die Diskussion gezeigt, wie wenig Vertrauen und Mut in der „Netzgemeinde“ liegt. Tilo Jung hat bereist erfolgreich ein Projekt gecrowdfunded und macht seit über 150 Folgen „Jung & Naiv“ vor, was wir von ihm erwarten können. Stefan Niggemeier betreibt seit exakt 10 Jahren Bildblog und wir lesen das täglich. Richard Gutjahr, der Mann der das erste iPad der Welt besaß, macht klassischen Journalisten Feuer unter´m Hinter – und ihr fragt, was wir wohl von den Krautreportern erwarten dürfen, falls es sich überhaupt finanziert?
Im Krautreporter-Blog sieht´s ein Kommentator ähnlich: „da wird sich angeschickt, eine neue Art von Journalismus zu versuchen, und dann hängt man sich auf an einer falschen eMail-Adresse auf der Webseite, die vermutlich kaum jemand nutzen werden muss? Warum? (Wobei es, wenn man diverse Kommentarspalten liest, tatsächlich Leute geben wird, die deswegen keine 60 € zu zahlen bereit sind. Achja, und wegen der Schriftart…
Im Ergebnis schaden diese Kritiken dem Projekt, mehr als sie nützen. Besonders die Kritiken von Influencern. Die Massenmedien transportieren nicht ohne Quercheck in den sozialen Netzen eine Tendenz, die z.B. die FAZ so formuliert: „Ob „das große Experiment“ am Ende gelingt, ist noch nicht absehbar, aber die fast minütlich hinzukommenden Unterstützer deuten darauf hin, dass das Unterfangen der „Krautreporter“ nicht ganz so verstiegen ist, wie es auf den ersten Blick scheint.“
Wir sind ein Volk der Meckerer und Nörgler. Besonders im schnelllebigen digitalen Bereich stellen wir uns mit dieser Art ein Bein, noch bevor wir den ersten Schritt gemacht haben. Martin Weigert hat dazu den hervorragenden Artikel „Über die Kraft einer positiven Sogwirkung und wie verfrühte Kritik sie verhindert“ geschrieben und zeigt wie andere Länder mit Ideen umgehen.
Abschließend ein Bild statt 1.000 Worte: